Offenbar war es mir gelungen, ein Zauberwort zu sprechen, als ich den Koordinator des Palliativteams an die Strippe bekommen hatte. Gut, dass DAS Wort eine gewisse Wirkung nicht verfehlen würde, war im Grunde wenig überraschend. Doch nicht, dass Sie meinen, ich hätte (bewusst) die Unwahrheit gesagt! Lediglich näher erläutert habe ich nicht. Der Schweizer hatte derletzt beim Abendessen die Vermutung geäußert, dass durch eine Raumforderung, dort wo das Herz sitzt, wohl auch eine Recurrensparese entstanden sein könnte, soll heißen, dass der Nerv, der für die Funktion der Stimmbänder zuständig ist, unterversorgt und deshalb einigermaßen unnütz geworden sein dürfte. Wenigstens vorübergehend. Denn ich war heiser. Ohne weitere Entzündungszeichen. Je nun, auf meinen Wunsch hin rief der Koordinator, Schwester Christels Ehemann übrigens, mich also zurück. Und ich krächzte so gut es ging mein Begehr von Wiederaufnahme in die Palliativversorgung wegen starker Schmerzen und anderer unangenehmer Symptome. Besonders hervorzuheben sei die Atemnot. Auch die Parese ließ ich nicht unerwähnt. Ich sprach in der Tat, und das ist ein bisschen gemein dem Herrn Koordinator gegenüber, von einer Parese. Punkt. Nichts. Sonst. Das könnte wohl auf eine völlig falsche Fährte geführt haben. Denn eine Parese ist ja nur eine Lähmung im Wortsinn. Die Vokabel sagt nichts weiter als: Lähmung. Dass da bei einem, in gewisser Weise medizinischen, Angestellten alle Alarmglocken läuten, dürfte klar sein. Jedenfalls ging dann alles besonders schnell. So schnell, dass ich wahrlich nicht mehr dazu gekommen bin, hier aufklärerisch dazwischenzuspringen. Ehrlich! Ich habe nicht täuschen wollen. Da der Herr Koordinator schließlich nur mitleidvoll davon sprach, wie dünn und schwach ich mich am Telefon anhörte, nickte ich auch nur noch mit feuchten Augen und ließ geschehen, dass wir unbürokratisch einen Termin festlegten, an dem seine Frau mich besuchen kommen würde, um sich von der Richtigkeit der Wiederaufnahme zu überzeugen. Na bitte. Ein Einschleichen mittels Betrug war ja quasi unmöglich. Schon fühlte ich mich besser.
In der Zwischenzeit haben die Ereignisse sich beinahe überschlagen. Innerhalb von vier Tagen besuchten mich sowohl Schwester Christel, als auch der launige Palliativarzt von damals und sondierten die Lage. Von der Schwester wurde ich wieder einmal genau beobachtet. Ob ich auch elegisch und ätherisch genug erschien, nehme ich an. Mehrmals bemerkte sie, wie gut beieinander ich doch auf sie wirkte. Dann wieder wurde mir ihrerseits akribisch erklärt, wie ich mich nun zu fühlen habe. „Nicht wahr, Sie fühlen sich schwächer und schwächer. Sie müssen mehr schlafen. Haben wenig Appetit.“ Während ich so: „Hm, naja…“ Wenigstens klärte ich die Parese- Sache noch sofortiger auf, als sie mir da noch Wind aus den Segeln hätte nehmen können. Das in diesem Zusammenhang nicht ganz unwichtige Recurrens sei mir entfallen gewesen, deswegen… Ach, aber das war schon nicht mehr von Belang. Schwester Christel war in ihrer Welt des Sterbens angelangt und verriet mir eine Art möglichen Weges, den zu gehen jetzt an mir wohl war. Völlig verwirrt blinzelte ich ein paar Mal panisch. Energisch konnte ich erst wieder werden, als ich gefragt wurde, ob ich es jetzt für an der Zeit halte, in ein Hospiz zu wechseln. In mir schrie es: WAS? Doch ich wusste, dass nichts anderes als Diplomatie angebracht war. Denn, nun ja, im Grunde war die Frage nicht unangemessen gewesen. Sie war mir nur einfach ein mü zu früh gestellt worden. Darauf hatte ich mich nicht vorbereitet. Ich sprach also vorsichtig, dass meine Einstellung und auch mein Wunsch, an dieser Stelle noch dem entsprachen, was ich vor einem Jahr bekannt hatte: Hospiz am Lebensende, weil das allein daheim nicht funktionieren konnte. Ich würde Hilfe benötigen. Noch aber fühlte ich mich zu Hause sicher. Sobald sich das für mich ändern würde, sei sie die Erste, die ich informieren würde, damit ich diese Hilfe auch rechtzeitig erhalten könnte. Ich gruselte mich ein wenig. So sehr allerdings auch nicht, als dass wir nicht gemeinsam einen Plan aushecken konnten, welche Maßnahmen, außer Medikamenten, mir in Bezug auf meine Beschwerden helfen könnten. Wir kamen zu dem Schluss, dass die Ayurveda Massage unbedingt weiterlaufen musste. Hinzu gesellen darf sich ab morgen eine Klangschalenmassage. Darauf bin ich bereits sehr gespannt. Obwohl ich eigentlich entspannen wollte…Verzeihung, der war wohl nicht so gut?
Der Arzt redete endlich einmal Tacheles, was die Behandlung der Schmerzen betraf. Bislang war ich schlicht zu zaghaft gewesen. Nur rein mit den Methadontropfen, nur rein. Bis ich endlich Besserung verspüre. Massagen könnte er auch verschreiben. Ganz auf mich ausgerichtet. Und Atemtherapie nach Feldenkrais. Danach sollte ich nur schauen. Wir redeten über diesen Aspekt, beleuchteten jene Schwierigkeit; eine Stunde Sprechstunde. So recht wusste ich gar nicht, wie mir eigentlich geschah. Ich erklärte, weshalb ich es, trotz meiner Symptome, nicht so eilig hatte mit der Aufklärung. Mein Geburtstag, die Sause, das Leben. Dass ich mich ärztlich zwar sehr schlecht betreut fühlte, doch auch, gerade wegen dieser Dinge, klaren Verstandes Informationen zurückhielt, damit ich anstandslos behandelt wurde.
Dieses Mal war mein Eindruck eher, dass Schwester Christel diejenige ist, die eine Wiederaufnahme unterstützt. Der Arzt schien nicht ganz überzeugt. Und ich? Ich fühle mich seitdem wie in Abrahams Schoss. Ich schlafe ruhiger, habe Phasen, in denen ich recht gut atme, nehme noch ziemlich viele Schmerzmittel, bin darunter aber sogar zuweilen schmerzfrei. Für mich war es der richtige Zeitpunkt und die richtige Entscheidung. Ob ich auch im nächsten Monat noch dabei sein werde, kann ich wenig beeinflussen. Die Palliativversorgung halte ich für eine gute Sache. Sie als eine Sichere zu bezeichnen, wäre falsch. Momentan lasse ich mich darauf ein. Ich sinke in ein flauschiges Kissen. Für eine Zeit, in der ich nicht mehr in ihren Genuss komme, weil ich es vielleicht auch nicht brauche, muss etwas anderes her. Den Onkologen zu wechseln, ist erstmal keine Option. Allerdings nur deshalb nicht, weil es in der Stadt keine gangbare Alternative gibt und alles andere logistisch zu unsinnig wäre. Also werde ich die Dienste des Schweizers häufiger nutzen. Das muss ich dann zeitnah in die Wege leiten. Damit ich nicht bei der nächsten Krise wieder so allein auf weiter Flur bin.
Erst einmal kann ich sagen, dass es mir sehr viel besser geht. Schlicht, weil jemand mich anhört. Verrückt eigentlich. Was die Heiserkeit angeht, vermutete der Palliativarzt das Gleiche wie der Schweizer. Und riet zu einem Besuch beim HNO- Arzt.